Medizinstudierende der Uni-Klinik Köln auf einer Radtour durch die Dörfer:Gesund leben im Revier – aber wie?

Zu den Chancen, die der Ausstieg aus der Braunkohle für die Menschen im Revier bietet, gehört auch die Chance auf ein gesünderes Leben. Denn dass die Kohle der Gesundheit – milde ausgedrückt – keinen Gefallen tut, haben Alle, egal ob sie für oder gegen den Tagebau waren, im Grunde immer gewusst. Aber dass sich mit Gesundheitsförderung viel, wenn nicht sogar viel mehr erreichen lässt, als was durch das Leben mit dem Loch wurde: wer sorgt eigentlich dafür, dass diese hoffnungsvolle Perspektive bei Allen klar und verständlich ankommt und auch für Alle gilt? Und wer wirkt daran mit? Wo ist das Anliegen der Gesundheit eigentlich im Strukturwandel angesiedelt? Und wer setzt sich bie der anstehenden Kommunalwahl politisch dafür ein, dass mit einem fairen Teil der Milliarden Strukturen geschaffen werden, die zu einem Leben mit besserer Gesundheit beitragen werden?
Mit diesen Fragen im Kopf begab sich am vergangenen Samstag 21.06.2025 eine Gruppe von 22 Medizinstudierenden der Uniklinik Köln auf eine Radtour durch die Dörfer am nördlichen Tagebaurand Garzweiler II. Unterstützt von Bewohnerinnen und Bewohnern sowie der Demokratie-Werkstatt Rheinisches Revier wagten die Studis ein Blick weit über den Tellerrand ihres Studiums hinaus und übten sich in der Frage: wie entsteht eigentlich – und jetzt nicht Krankheit, sondern – Gesundheit?
Die Studierenden verfuhren an diesem Tag gewissermaßen chronologisch – aus der Vergangenheit lernen, um die Gegenwart und Zukunft zu verstehen. Zunächst ging die Fahrt nach Neu-Otzenrath und Neu-Holz sowie zu einer Führung im Hausmuseum Otzenrath mit Gründerin Inge Broska, die Gefallen fand und sich der Gruppe spontan für den Tag anschloss. Die 82-Jährige erinnerte daran, wie Viele bereits um das Jahr 2000 den Kohleabbau für überholt hielten und annahmen, dass der zweite Garzweiler-Tagebau nicht mehr umgesetzt würde.
In ihrem Hausmuseum wurde außerdem deutlich: die Umsiedlungen zeigen das Bedürfnis nach Kontinuität, aber gerade auf der Ebene des Einzelnen ist oft nichts wie zuvor. Viele Traditionen und Bräuche sind mit ihren Menschen an Orten verwurzelt und nicht leicht zu transplantieren. Viele der Traditionen gingen mit der Umsiedlung unter, da viele traditionelle Tätigkeiten in den neuen Häusern aufgegeben wurden und viele der Geschäfte im neuen Ort keine Zukunft hatten.
Sehr wohl eine Zukunft hat hingegen Keyenberg, wohin es als nächstes ging. Bewohner Norbert Winzen führte die Gruppe durch das Dorf und erzählte, wie durch den Widerstand gegen den Kohlekonzern aus seiner Perplexität ein sinnstiftender Lernprozess wurde, der ihn mit seiner Heimat verband sowie mit Menschen auf der ganzen Welt, die ihr Land für Profite verloren haben. In Keyenberg stellt sich jetzt täglich die Frage: „Wie wollen wir weitermachen?“ Entlang des Quellengebiets der Niers sowie des Tagebaurands wurde deutlich, dass die Fragen der Wiederaneignung des eigenen Dorfes auch die zutiefst veränderte Landschaft betreffen, die in Norberts Kindheitserinnerungen von frischem Quellwasser und der Autopanne zweier Bankräuber erzählen.
Zum Abschluss konnte die Gruppe im Cafe Nr 5 Kraft tanken und reflektieren. Im Hinblick auf die Entstehung von Gesundheit (Salutogenese) haben die Prozesse in Tagebauregionen den Anwohnenden arge Herausforderungen an ihr Selbstvertrauen auferlegt: Viele kamen an die Grenzen ihres Verstehens und erhielten nie eine Erklärung. Viele fanden bei sich nicht die nötigen Ressourcen wie eine zusammenhaltende Dorfgemeinschaft, um mit den Schwierigkeiten fertig zu werden. Und die, die sie fanden, fanden sich ein ums andere Mal enttäuscht. Hier empfahl unsere Salutogenese-Literatur: Lebenserfahrungen ermöglichen, in der die unmittelbare Umwelt wieder verständlich und selbstbestimmt handhabbar wird.
Zum Abschluss formulierten die Studierenden noch einige Überlegungen zu den Themen:
1. Salutogenese
2. Determinanten der Gesundheit
Für die Region könnte der Strukturwandel und seine Förderung die Möglichkeit bedeuten, Gesundheit als etwas zu begreifen, das eine Dorfgemeinschaft zusammen ermöglicht. Und dass dabei nicht nur die menschlichen, sondern auch die anderen Lebewesen sowie eine tief verwundete Umwelt mitzuberücksichtigen wären. Wobei die Partizipation der Bürger nicht nur als Weg zu gemeinsam ausgehandelten Gesundheitsstrukturen zu betrachten wäre, sondern bereits selbst gesundheitsförderlich wirkt.
In Zusammenarbeit der Uni Klinik Köln (Bernhard Seidler) und der Demokratiewerkstatt RR (Jonathan Querg).